Fokusthema: Der Bedarf an Personal mit technologischen Kompetenzen wächst
Beschäftigte im MINT-Bereich spielen in Deutschland eine zentrale Rolle; 25 Prozent der Bruttowertschöpfung stammen hierzulande aus MINT-Berufen. Umso schwerwiegender, dass Unternehmen gerade im Bereich der Informatik und im technischen Bereich einen Mangel an Fachkräften beklagen. Bereits 2018 prognostizierten Stifterverband und McKinsey einen Bedarf von etwa 700.000 Personen mit technologischen Kompetenzen bis 2023. Auf Basis unserer aktuellen Befragung unter Beteiligung von 500 Unternehmen und Institutionen der öffentlichen Verwaltung schätzen wir, dass dieser Bedarf bis 2026 sogar noch einmal steigen wird: auf mehr als 780.000 Personen.
Die hohe Nachfrage nach Personal mit technologischen Kompetenzen ist auf die Digitalisierung, aber auch viele technologischen Neuerungen im MINT-Bereich zurückzuführen. Beispielsweise wird künstliche Intelligenz (KI) in immer mehr Branchen und Themenfeldern angewendet. Auch das junge Themengebiet Quantencomputing wird aktuell viel diskutiert.
Technologische Kompetenzen sind für die Gestaltung von transformativen Technologien notwendig und werden für unsere Gesellschaft immer wichtiger, um die Herausforderungen der Zukunft zu lösen. Dazu gehören nicht nur die genannten neueren Kompetenzen wie künstliche Intelligenz – gepaart mit Datenanalyse – und Quantencomputing, sondern auch Kenntnisse in der IT-Architektur, um beispielsweise resilient gegenüber Cyberangriffen zu sein. Des Weiteren werden Kompetenzen in der Softwareentwicklung, im nutzerzentrierten Design sowie in der Hardware- und Robotikentwicklung benötigt.
Die Ergebnisse unserer aktuellen Umfrage zeigen, dass Unternehmen und Behörden – wie auch schon in der Umfrage vor drei Jahren – Data Analytics und KI als die gefragteste technologische Kompetenz heute und in fünf Jahren sehen. Sie gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2026 – zusätzlich zu denen, die es schon beherrschen – jede achte Mitarbeiterin beziehungsweise jeder achte Mitarbeiter sich diese Kompetenzen aneignen muss. Etwa halb so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten sich laut den Befragten in fünf Jahren Kompetenzen in der Softwareentwicklung oder IT-Architektur aneignen.
Der weiter steigende Bedarf an Personal mit technologischen Kompetenzen lässt sich auf unterschiedliche Art und Weise decken:
Für einen nachhaltigen Zufluss technologisch gebildeter Fachkräfte spielen die hier genannten Hochschulabsolventinnen und -absolventen eine wichtige Rolle. Daher werden wir im Folgenden diese Möglichkeit der Bedarfsdeckung genauer beleuchten.
Technologische Kompetenzen nehmen in der Hochschulausbildung immer mehr Raum ein. Laut Hochschulkompass der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) ist beispielsweise die Anzahl der Informatikstudiengänge mit Bachelorabschluss im Zeitraum von 2018 bis 2021 um 25 Prozent von 686 auf 858 gestiegen. Die Anzahl spezialisierter Tech-Studiengänge nahm im gleichen Zeitraum sogar um 180 Prozent von 111 auf 311 zu. Besonders großen Zuwachs gab es in Studiengängen rund um Data Analytics und KI. Die Steigerungsrate gegenüber 2018 beträgt 139 Prozent. Auch Hardware- und Robotikentwicklung werden immer häufiger zum Studienschwerpunkt – 60 Studiengänge wurden 2021 zu diesen Skills neu eingeführt. Auch gibt es bereits fünf Studiengänge, die auf Quantencomputing ausgelegt sind.
Hochschulen haben mit dem Ausbau dieser Kurse Enormes geleistet und damit die Grundlage für ein weiteres Wachstum der Absolventenzahlen in technologienahen Studiengängen gelegt. Heute gibt es jährlich rund 29.000 Absolventinnen und Absolventen über alle Informatikstudiengänge hinweg. Dazu kommen rund 10.000 Absolven tinnen und Absolventen in IT-nahen Studiengängen wie beispielsweise Elektrotechnik oder Computer- und Kommunikationstechniken, zusammen also rund 40.000 Absolventinnen und Absolventen.
Das starke Wachstum in den technologienahen Studiengängen sollte zu einem Wachstum in den Absolventenzahlen in den nächsten Jahren beitragen. Bis zum Jahr 2026 schätzen wir daher die kumulierten Absolventenzahlen auf mindestens 200.000; diese stehen den bis dahin 780.000 zusätzlichen benötigten Personen mit technologischen Kompetenzen gegenüber. Auch wenn Letztere wie eingangs beschrieben durch eine Vielzahl anderer Möglichkeiten gedeckt werden können, sprechen schon allein die Garantie eines nachhaltigen Zuflusses an Tech-Spezialisten und die mit heimischen Studiengängen verbundene Qualitätssicherung für einen weiteren Ausbau von Future-Skills-Studiengängen und das Bemühen, Studierende für diese Studiengänge gewinnen zu können.
Neben den IT-Studiengängen können auch andere technische Studiengänge wie Ingenieurwissenschaften oder Maschinenbau einen Beitrag dazu leisten, den für 2026 von uns prognostizierten Bedarf an 780.000 Personen mit technologischen Kompetenzen zu decken. Sie vermitteln teilweise ebenfalls die in diesem Paper definierten technologischen Future Skills. Die Zahl der Absolventinnen und Absolventen liegt mit beispielsweise rund 100.000 ausgebildeten Ingenieuren jährlich deutlich höher als in den Informatikstudiengängen. Ausgebildete Ingenieurinnen und Ingenieure oder Maschinenbauerinnen und Maschinenbauer, die Aufgaben in der Informatik übernehmen, fehlen allerdings in ihren angestammten Berufen; gerade in diesen MINT-Berufen steigt die Zahl der Personen, die in naher Zukunft altersbedingt ausscheiden.
Ein großes und bis jetzt noch wenig genutztes Potenzial bieten Erweiterungen der Curricula nicht genuin technischer Studiengänge um spezifische technische Module. Ein Beispiel hierfür wäre der Studiengang Soziologie mit Schwerpunkt Technikforschung an der RWTH Aachen. Auch sogenannte Bindestrich-Studiengänge können durch die Kombination zweier Fächer (zum Beispiel Medizininformatik an der Universität Leipzig) vermehrt dazu beitragen, technologische Kompetenzen einer breiteren Masse an Studierenden zu vermitteln.
Hochschulen sollten die Aus- und Weiterbildung von technologischen Kompetenzen noch stärker als bisher in den Fokus stellen. Ziel muss es sein, den Bedarf an technologisch qualifizierten Arbeitskräften in Deutschland zu decken. Für Hochschulen stellen sich insbesondere drei Aufgaben:
SCHRITTE IN DIE RICHTIGE RICHTUNG
Bildung sollte Fortschritt ermöglichen, nicht umgekehrt
MINT-Fachkräfte sind nach wie vor stark gefragt – doch die Aufgabenfelder wandeln sich und die Hochschulen stellen sich nur schleppend darauf ein, meint Hagen Pfundner, Vorstand von Roche. Ein Gespräch darüber, wie man junge Menschen für ein MINT-Fach begeistern kann und was Bierbrauen mit Pharmazie zu tun hat.
Interview im MERTON-Magazin