Der Hochschul-Bildungs-Index 2010 bis 2020

Entwicklungen und Handlungsbedarf

  • Der Hochschul-Bildungs-Index erreichte im Jahr 2020 nur 45 von 100 Punkten. Auch vor der Covid-19-Pandemie im Jahr 2019 konnten nur 51 Punkte erreicht werden.
  • Das Handlungsfeld "Internationale Bildung" schnitt mit 68 von 100 Punkten am besten ab; vor der Covid-19-Pandemie wurden sogar 96 Punkte erreicht.
  • Schlusslichter sind die Handlungsfelder "Chancengerechte Bildung" und "MINT-Bildung" mit 31 beziehungsweise 32 von 100 Punkten; die rückläufigen Entwicklungen hier lassen sich zum Teil durch eine Änderung des Staatenrechts beziehungsweise die Covid-19-Pandemie erklären.

Vor zehn Jahren wurde der Hochschul-Bildungs-Report als zentrales Analyseinstrument der Bildungsinitiative 2020 "Zukunft machen" etabliert. Seither werden – mit leichten Änderungen – etwa 70 Indikatoren zur Entwicklung der Handlungsfelder "Internationale Bildung", "Quartäre Bildung", "Beruflich-akademische Bildung", "Lehrer-Bildung", "MINT-Bildung" und "Chancengerechte Bildung" beobachtet. Zentrale Ziele dieser Initiative sind es, einerseits eine weitere Grundlage für eine quantitative Bildungsberichterstattung und damit die Möglichkeit einer daten- und faktenorientierten Sicht auf die Hochschulbildung sowie Hochschulpolitik zu schaffen, andererseits quantitativ messbare Ziele auszugeben, die eine Orientierung zur Entwicklung des Hochschulsystems geben.

Für jeden Indikator wurden einzelne Ziele festgelegt, der Zielwert wurde 100 Punkten gleichgesetzt und sollte bis 2020 erreicht werden. Startwert war für jeden Indikator das Jahr 2010 mit 0 Punkten. Für die Zielfestlegung wurden nationale und internationale Benchmarks, Fair-Share-Betrachtungen, offizielle Zielvorgaben und Trendextrapolationen herangezogen. Die Indikatorauswahl und die Ziele orientieren sich an drei wichtigen Aufgaben des Hochschulsystems: (1.) den künftigen Akademikerbedarf zu decken, (2.) eine sozial gerechte und heterogene Studierendenzusammensetzung sicherzustellen und (3.) das Studium an den Bedürfnissen von Studierenden und Arbeitgebern auszurichten. Zur Beurteilung der Gesamtentwicklung der Hochschulbildung wurden die Indikatoren zu einem Gesamtindex zusammengeführt, dem Hochschul-Bildungs-Index.

 

Kein Handlungsfeld hat Ziel erreicht

Der Hochschul-Bildungs-Index steht zum Abschluss der Betrachtung bei 45 von 100 Punkten. Trotz einiger Erfolge bei einzelnen Indikatoren und Handlungsfeldern ist dies ein ernüchterndes Ergebnis. Zwar hat sich die Hochschulbildung in Deutschland verbessert, sie ist internationaler, durchlässiger und vielfältiger geworden. Allerdings hat sich das System nicht so schnell verändert wie erhofft: Kein einziges Handlungsfeld hat 100 Punkte und damit die für das Jahr 2020 als Ziel vorgegebene Marke erreicht. Die Entwicklung im Abschlussjahr unseres Reports wurde durch die Covid-19-Pandemie beeinflusst. Zum ersten Mal überhaupt sank der Hochschul-Bildungs-Index gegenüber dem Vorjahr, und zwar um deutliche 6 Punkte von vorher 51 Punkten. Auf allen sechs Handlungsfeldern hat die Pandemie einen negativen Einfluss gehabt und die positive Entwicklung zurückgeworfen.

Die positivste Entwicklung wurde im Handlungsfeld "Internationale Bildung" erreicht. Die enormen Fortschritte hier hätten fast zu einer Zielerreichung geführt – der Handlungsfeldindex lag im Jahr 2019 bei 96 Punkten, ist durch die Covid-19-Pandemie jedoch im Jahr 2020 auf 68 Punkte gefallen. Mit einigem Abstand, und weniger stark von der Pandemie betroffen, folgen die Handlungsfelder "Quartäre Bildung" (Endergebnis: 47 Punkte) und "Beruflich-akademische Bildung" (Endergebnis: 46 Punkte). Sie haben sich seit dem Jahr 2010 kontinuierlich – wenngleich deutlich unter den Zielvorgaben – positiv entwickelt.

Nach Rückschlägen in den Anfangsjahren und darauffolgenden ersten positiven Entwicklungen stagnieren die Fortschritte im Handlungsfeld "Lehrer-Bildung" seit drei Jahren; der Handlungsfeldindex erreichte zum Abschluss nur 37 Punkte. Das Handlungsfeld "MINT-Bildung" konnte bis zum Jahr 2018 mit 47 Punkten noch positive Entwick-lungen verzeichnen. Der Rückgang seit dem Jahr 2019 wurde durch die Covid-19-Pandemie noch einmal verstärkt und führte zu einem Endergebnis von nur 32 Punkten. Ebenfalls mit einem starken Rückgang hat das Handlungsfeld "Chancengerechte Bildung" zu kämpfen. Hier wurden im Jahr 2017 noch 47 Punkte erreicht, im Jahr 2020 fiel dieser Wert auf 31 Punkte. Ob die Chancengerechtigkeit in der Bildung in den vergangenen Jahren in diesem Maße abgenommen hat, ist allerdings aufgrund der Effekte eines geänderten Staatsbürgerrechts schwierig zu interpretieren.

Zusätzlich zu den Handlungsfeldern hat der Hochschul-Bildungs-Report die Zieldimensionen "Akademikerbedarf", "Diversität" und "Nachfrageorientierung" bewertet. Auch hier hat, gerade im Bereich Akademikerbedarf, die Covid-19-Pandemie zu einem massiven Rückgang geführt. Dies spiegelt sich in derzeit angespannten Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt wider; der Fachkräftemangel im MINT-Bereich ist beispielsweise noch größer als vor der Pandemie.

ZIELDIMENSIONEN IM HOCHSCHUL-BILDUNGS-INDEX

  • Akademikerbedarf
    Der Bedarf an Hochqualifizierten, der für weiteres wirtschaftliches Wachstum und eine positive gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland insgesamt wünschenswert ist, soll langfristig gedeckt werden.
  • Diversität
    Ziel ist es, die Vielfalt der deutschen Gesamtbevölkerung auch in der Studierendenschaft widerzuspiegeln. Menschen aus allen Gesellschaftsschichten sollen unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund gleiche Chancen auf höhere Bildung und die damit verbundenen Möglichkeiten haben.
  • Nachfrageorientierung
    Über unterschiedliche Formen des Studiums soll die tertiäre Bildung besser an die Bedürfnisse von Studierenden und Arbeitgebern angepasst werden. Dazu gehören die Steigerung der Internationalität und des Praxisbezugs ebenso wie die Ausdifferenzierung der Studienformen, zum Beispiel über Fern- und Teilzeit-, berufsbegleitende und duale Studiengänge.

Verfügbarkeit von Daten in der Bildungspolitik

Stifterverband und McKinsey haben in den vergangenen zehn Jahren mit dem Hochschul-Bildungs-Report nachvollziehen können, wie schwierig es ist, über einen langen Zeitraum Indikatoren von statistischen Ämtern, Forschungsinstituten und anderen Institutionen abzufragen. Von den 70 Indikatoren bei Beginn der Erhebung konnten 51 kontinuierlich bis zum Abschluss im Jahr 2020 verfolgt werden. Andere wurden aus verschiedenen Gründen aus dem Indikatorenset genommen, sei es, dass Forschungsinstitute ab einem bestimmten Zeitpunkt Daten nicht mehr auswiesen, wie beispielsweise im Fall der Betreuungszufriedenheit von Lehramtsstudierenden. Oder dass die Covid-19-Pandemie die Veröffentlichung von Daten verzögerte. Selbst bei manchen Daten, die kontinuierlich erfasst werden konnten, musste die Interpretation angepasst werden, beispielsweise aufgrund von Gesetzesänderungen zum Staatenrecht wie im Fall der Bildungsinländer. Allen Institutionen, die Daten bereitgestellt haben, sind wir zu Dank verpflichtet, denn ohne sie wären die Indikatoranalysen nicht möglich gewesen.

Die Indikatoren des Hochschul-Bildungs-Reports sind ein wichtiges Messinstrument, um den Fortschritt und die Weiterentwicklung der deutschen Hochschullandschaft zu beurteilen. Doch die Erfahrungen mit diesen Indikatoren zeigen auch, dass die Erhebung kontinuierlich erfasster Daten zur Hochschulbildung weiter ausgebaut werden muss, um politischen Akteuren nachhaltig Steuerungsdaten mit hoher Aussagekraft zur Verfügung stellen zu können.

Deshalb empfehlen Stifterverband und McKinsey:

  • Eine verstärkte Erhebung bildungsbezogener Daten durch statistische Ämter, andere Behörden, Hochschulen und Forschungsorganisationen wie dem DZHW. Eine Priorität muss darin liegen, Datenlücken zu schließen, wie beispielsweise Daten dazu, wie viele Lehrerinnen und Lehrer mit welchen Lehrbefähigungen zur Verfügung stehen. Neuere Statistikprojekte wie die Studienverlaufsstatistik gehen hier in die richtige Richtung.
  • Akteure und Entscheidungsträger in der Bildungspolitik müssen bei ihren Entscheidungen, Initiativen und Gesetzesentwürfen auf die bestehenden Daten – wo sie vorliegen – eingehen, die Entschlüsse in Bezug zu diesen erklären und sich messbare Ziele setzen. Wenn keine entsprechenden Daten vorliegen, sollte deren Erhebung parallel veranlasst werden.
  • Evaluationen sollten bei Bildungsinitiativen langfristig gedacht und geplant werden. Häufig erfolgt die Evaluation entsprechender Projekte direkt nach Abschluss, obgleich oftmals ein deutlich längerer und später einsetzender Wirkungszeitraum angenommen werden müsste.
  • Statistische Daten sollten gut aufbereitet werden und entsprechende Schnittstellen für externe Anwendungen zur Verfügung stehen. Statistische Ämter und andere Institutionen des statistischen Systems sollten das Thema Transfer der Zahlen und Entwicklungen in die Gesellschaft noch stärker in den Blick nehmen.

Der Hochschul-Bildungs-Report 2020 ist eine Initiative von