Das Potenzial von Studierenden aus EU-Krisenländern nutzen

Die ökonomische Krise in einigen europäischen Ländern betrifft in besonderer Weise die Jugendlichen. Das hat auch Auswirkungen auf die Studierendenmobilität nach Deutschland. Die größte Wachstumsrate unter den ausländischen MINT-Studierenden weisen die Angehörigen der EU-Krisenländer auf, besonders aus Griechenland, Spanien und Italien.

Einer Studie des Deutschen Studentenwerks (DSW) und des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) zufolge ist der Anteil ausländischer Studierender an deutschen Hochschulen, für den Deutschland die erste Studienortwahl war, von 47 Prozent (2009) auf 61 Prozent (2012) gestiegen. Gründe dafür sind unter anderem die guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt, die ein Studium in Deutschland ermöglicht, sowie die geringen Mobilitätshürden durch den Bologna-Prozess. Darüber hinaus können Ausländer in Deutschland generell gebührenfrei studieren; EU-Ausländer haben zudem Anspruch auf BAföG-Unterstützung.

Zulauf aus EU-Krisenländern

Insgesamt ist die Zahl ausländischer Studierender in Deutschland in den vergangenen Jahren angestiegen, insbesondere aus den EU-Krisenländern Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien. Der Grund: Die zunehmende Arbeitslosigkeit im eigenen Land hat die wirtschaftliche Perspektive für viele junge Menschen aus Südeuropa und Irland stark verschlechtert; demgegenüber bietet Deutschland diesen Studierenden vergleichsweise gute Aussichten. Deutschland selbst profitiert ebenfalls von den vielen ausländischen Studierenden. Deren Konsumausgaben führten einer aktuellen DAAD/Prognos-Studie zufolge im Jahr 2011 zu Steuereinnahmen in Höhe von 400 Millionen Euro und zu Beschäftigungseffekten, die 22.000 Arbeitsplätzen entsprachen.

Die meisten Studierenden kommen aus China

Die Ranglisten der ausländischen Studierenden in Deutschland führen – trotz der erhöhten Studierendenmobilität innerhalb der EU – zwei asiatische Staaten an. China ist das Land, aus dem mit Abstand die meisten ausländischen Studierenden nach Deutschland kommen (6.000 im Jahr 2012). Mit Zuwachsraten von 13 Prozent jährlich übertrifft China damit sogar die meisten EU-Krisenländer.

Noch schneller ist die Anzahl der Studienanfänger aus Indien gestiegen, seit 2010 jährlich um über 24 Prozent auf 2.500 im Jahr 2012. Die Zahl der chinesischen und indischen Studienanfänger ist größer als die Zahl aller Studienanfänger aus EU-Krisenländern zusammen. Betrachtet man statt der Studienanfänger die Gesamtzahl der Studierenden, so kommen aus China und Indien sogar doppelt so viele Studierende nach Deutschland wie aus den fünf Krisenländern der EU.

Mobilitätsfaktor EU-Finanzkrise

Direkt nach den großen asiatischen Ländern wächst die Zahl der Studienanfänger aus den EU-Krisenländern seit Beginn der Finanzkrise erheblich. Die Anzahl der Studienanfänger aus Griechenland, Spanien, Italien, Portugal und Irland ist von rund 6 300 im Jahr 2010 auf etwa 7.800 im Jahr 2012 gestiegen (+ zwölf Prozent jährlich). Die Zahl der Erstsemester aus den restlichen EU-Ländern wuchs im Vergleich dazu nur um sechs Prozent jährlich von circa 14.100 im Jahr 2010 auf rund 15.800 im Jahr 2012.

MINT-Fächer besonders beliebt

Für den deutschen Arbeitsmarkt sind ausländische Studierende beziehungsweise Absolventen besonders interessant, weil sie häufiger industrienahe MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) studieren als ihre deutschen Kommilitonen. 2012 belegten 43 Prozent (121.700) der ausländischen Studierenden (Bildungsin- und -ausländer) ein MINT-Studienfach. Von den deutschen Studierenden entschieden sich im gleichen Jahr nur 37 Prozent dafür.

Im Zuge der europäischen Wirtschaftskrise ist die Anzahl der ausländischen Studierenden in allen MINT-Fächern seit 2010 angestiegen: in den T-Fächern (ingenieurwissenschaftliche Fächer) um 18 Prozent (von 61.200 auf 72.000), in den MIN-Fächern um 15 Prozent (von 43.100 auf 49.600). In allen anderen Studienfächern betrug dieser Anstieg hingegen nur neun Prozent (von 147.700 auf 160.500). Nach den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sind T-Fächer damit 2012 die von ausländischen Studierenden am zweithäufigsten gewählte Fächergruppe. Im Vergleich dazu stieg die Anzahl der deutschen MIN- und T-Studierenden nur um acht Prozent jährlich auf 400.100 (MIN) beziehungsweise 427.400 (T).

Viele MIN-Studierende aus Spanien

Die größte Wachstumsrate unter den ausländischen MINT-Studierenden weisen wiederum die Angehörigen der EU-Krisenländer auf. Seit 2010 stieg die Anzahl der MIN-Studierenden in Deutschland aus EU-Krisenländern von 3.000 auf 3.900 im Jahr 2012 (+14,3 Prozent jährlich) – die höchste Zuwachsrate für diese Fächergruppe. Die am stärksten wachsende MIN-Gruppe aus den EU-Krisenländern bilden die Spanier mit einem Anstieg um 15,9 Prozent, gefolgt von Italien (+15,2 Prozent) und Griechenland (+13,6 Prozent). Ganz anders die restlichen EU-Länder. Hier beträgt das Wachstum 2012 nur 3,7 Prozent.

Das gleiche Bild ergibt sich in den technischen Fächern. Auch hier wuchsen die Studierendenzahlen aus den EU-Krisenländern stärker als aus anderen Regionen, besonders aus Griechenland (+12,8 Prozent), aus Spanien (+11,9 Prozent) und Italien (+10,7 Prozent). Die Wachstumsrate aus den restlichen EU-Ländern fällt mit 3,8 Prozent bescheiden aus.

Empfehlung

Zuletzt gab es 7.800 Studienanfänger aus EU-Krisenländern an deutschen Hochschulen, Tendenz steigend. Viele davon studieren arbeitsmarktrelevante Fächer mit hoher Nachfrage nach den entsprechenden Absolventen. Diese Entwicklung sollte weiter unterstützt werden. Politik und Wissenschaftsförderern stehen dazu vielfältige Instrumente zur Verfügung: Stipendien, der Einsatz von Bildungsbotschaftern und die Etablierung von Studienkollegs.

Hochschulen sollten spezifische Internationalisierungsprofile und proaktive Rekrutierungsstrategien entwickeln. Unternehmen können für den Hochschul- und Beschäftigungsstandort Deutschland werben und praktische Erfahrungen in ihren Unternehmen vermitteln. Die Politik muss zudem eine Strategie entwickeln, die Internationalisierung des Bildungssystems als Teil der Arbeitsmarktpolitik versteht. Die im April 2013 gemeinsam von Bund und Ländern festgelegte Strategie zur Internationalisierung der Hochschulen in Deutschland geht dabei nicht weit genug. Zwar wird die Bedeutung ausländischer Studierender für den Wirtschaftsstandort Deutschland konstatiert, doch es fehlt an konkreten Zielsetzungen und Schritten, insbesondere was die Anzahl an ausländischen Absolventen angeht.

Initiativen zur verstärkten Anwerbung ausländischer Studierender sollten durch konkrete Vorhaben ergänzt werden, die den Übergang in den deutschen Arbeitsmarkt nach erfolgreichem Studium erleichtern. Dazu bedarf es auch einer engen Zusammenarbeit der Hochschulen mit den Unternehmen in Deutschland. Die Strategie sollte darüber hinaus spezifischer auf die Situation in einzelnen Regionen der Welt und einzelner Fächer eingehen.

Der Hochschul-Bildungs-Report 2020 ist eine Initiative von