Acht Thesen zur Arbeitswelt 4.0

Wie sollen die Hochschulen die Studierenden auf die Arbeitswelt der Zukunft vorbereiten? In acht Thesen versucht der Hochschul-Bildungs-Report, sich diesem Thema zu nähern.

Durch Megatrends wie Digitalisierung und Automatisierung verändern sich die Arbeitswelt und unsere Art zu arbeiten. Das erfordert auch ein Schritthalten der Hochschulbildung, um den Entwicklungen gerecht werden zu können. Acht Thesen zu den Anforderungen der Hochschulen im digitalen Zeitalter. 

These 1: Der Umgang mit digitalen Technologien wird zum festen Bestandteil des akademischen Kompetenzprofils.

Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch und wird intellektuelle Leistungen, also sogenannte Wissensarbeit, zunehmend unterstützen oder übernehmen. In vielen Berufsfeldern werden grundlegende analytische Tätigkeiten immer mehr automatisiert. Die Arbeitswelt der Zukunft wird sich dadurch auszeichnen, dass nicht mehr nur die Kommunikation digitalisiert wird, sondern dass die Arbeitswelt in allen Berufsfeldern stärker durch die digital gestützte Sammlung, Analyse, Aufbereitung, automatische Verknüpfung und Bereitstellung von Daten bestimmt wird. Akademische Tätigkeiten werden sich hin zu Konzeption, Kontrolle und Bewertung von automatisierten Analysen verlagern. Fähigkeiten wie Selbstorganisation, kreatives Nachdenken und Arbeiten, (komplexe) grundlegende Problemlösung und das kritische Hinterfragen und Bewerten von Informationen werden wichtiger. Digitale Fähigkeiten, statistische Kompetenzen und der Umgang mit der digitalen Analyse großer Datenmengen sowie die kritische Beurteilung der Ergebnisse werden über alle Berufsgruppen hinweg neue Querschnittskompetenzen in der Arbeitswelt 4.0.

These 2: In der Arbeitswelt 4.0 fallen Routinetätigkeiten weg und werden durch komplexere akademische Tätigkeiten ersetzt.

Der Automatisierung von menschlichen Tätigkeiten sind unter technologischen Gesichtspunkten immer weniger Grenzen gesetzt. Während die Automatisierung in der Vergangenheit in erster Linie manuelle Arbeit ersetzt hat, wird es in Zukunft immer häufiger möglich sein, auch Wissensarbeit zu automatisieren. Und auch komplexere Aufgaben, die bisher strukturiertes Denken und fortgeschrittene Problemlösungsfähigkeiten erfordern, lassen sich zunehmend automatisieren. Laut einer Unternehmensbefragung des Stifterverbandes und McKinsey & Company rechnen auch Unternehmen damit, dass bestimmte Tätigkeiten durch neue Formen der Mensch-Maschine-Interaktion verändert werden. Die Digitalisierung und Automatisierung kann dabei Freiraum für neue Aufgaben schaffen: Durch den Wegfall von Routinetätigkeiten steigt das Niveau der Arbeit und das Tätigkeitsspektrum wird komplexer. Ein Akademiker wird mehr Zeit zur Verfügung haben, sich neuen, anspruchsvollen Tätigkeiten zu widmen.

These 3: Mit dem Siegeszug von Big Data durchdringen forschungsbasierte Tätigkeiten die Arbeitswelt und institutionelle Grenzen der Forschung werden durchlässig.

Big Data bietet großes Potenzial für Forschung und Erkenntnisprozesse: Theorien lassen sich schneller datengestützt überprüfen, große Datenmengen ermöglichen durch neuartige Verknüpfungen neue Hypothesen und Denkmodelle. Durch die Digitalisierung hat die Erhebung und Analyse von Daten im privatwirtschaftlichen Bereich einen enormen Zuwachs erfahren und Akademiker außerhalb von Wissenschaftseinrichtungen werden zunehmend forschungs-/datenbasiert arbeiten. Für Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden diese privaten Partner immer wichtiger: Schon heute gewinnen Kooperationen an Bedeutung, bei denen Unternehmen Wissenschaftseinrichtungen den Zugang zu forschungsrelevanten Datensätzen zur Verfügung stellen. Das Aufweichen institutioneller Grenzen in Forschung und Entwicklung bietet große Chancen für die Wissensgenerierung. Für die Hochschulbildung bedeutet dies, forschendes Lehren und Lernen und die Vermittlung wissenschaftlicher Methodenkenntnisse zu stärken, um fundierten, wissenschaftsgeleiteten Erkenntnisgewinn zu ermöglichen.

These 4: Die Nachfrage nach akademischen Qualifikationen steigt und für Akademiker entstehen neue, durch Mensch-Maschine-Interaktion und Digitalisierung geprägte Berufsbilder.

Durch die Verwissenschaftlichung und Digitalisierung der Arbeitswelt sind akademische Kompetenzen schon heute gefragter denn je. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) schätzt, dass die Nachfrage nach Akademikern allein durch Industrie 4.0 um 15 Prozent bis zum Jahr 2030 steigen wird. Durch die Digitalisierung und die neuen Technologien der Industrie 4.0 entsteht dieses Nachfragewachstum nicht nur in bereits existierenden Berufen, sondern auch in vielen neuen akademischen und akademisierten Berufsbildern. Was bedeutet das für die Ausbildung? In Zukunft werden Akademiker noch weniger auf definierte Tätigkeiten vorbereitet werden können. Neue Berufsfelder entstehen häufig an den Schnittstellen der Disziplinen, insbesondere an der Schnittstelle zur Informatik (beispielsweise Bioinformatiker, IT-Ingenieure). Interdisziplinäre Kompetenzen gewinnen daher ebenso an Bedeutung wie die Fähigkeit, sich neues Wissen auf Feldern zu erschließen, in denen man nicht ausgebildet wurde.

These 5: Immer mehr beruflich Qualifizierte benötigen akademische Qualifikationen, immer mehr Akademiker benötigen berufliches Wissen.

Die digitale Unterstützung menschlicher Tätigkeiten und die Automatisierung der Wissensarbeit erfordern Anforderungsprofile hin zu höherwertigen Tätigkeiten und vielfältigeren (beruflichen und akademischen) Kompetenzen. Gleichzeitig besteht die Erwartung, dass sich das Studium stärker als bisher an den Arbeitsmarktanforderungen ausrichtet. Auf diese Trends reagiert der Bildungsbereich schon heute: Die Zahl der Studienanfänger ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen und neue Bildungsangebote (zum Beispiel duale Studiengänge) sind entstanden. Durch diese Entwicklung verschwimmen zunehmend Laufbahnkorridore im unteren akademischen und oberen beruflich ausgebildeten Bereich. Die Verschmelzung von akademischen und beruflichen Tätigkeiten bedeutet, dass immer mehr Arbeitnehmer für ihre Berufstätigkeit anwendungsorientiertes akademisches Wissen benötigen. Mit einer steigenden Akademisierung des Arbeitsmarktes in der Arbeitswelt 4.0 steigt auch der Bedarf an Studienangeboten für Studierende ohne Abitur oder Personen mit Berufserfahrung. Für Hochschulen bedeutet dies, Studiengänge stärker an individuelle Voraussetzungen, Wissensbestände und Bildungsziele anzupassen.

These 6: Lernen prägt das neue Arbeiten und Arbeiten prägt das neue Lernen.

Angesichts der sich immer rasanter verändernden Berufsbilder in der Arbeitswelt 4.0 wird kontinuierliches Lernen fester Bestandteil des Berufsalltags. Die Diskussion um lebenslanges Lernen erlebt mit der Arbeitswelt 4.0 eine Renaissance und neue Intensität. In der Arbeitswelt 4.0 wandelt sich Lernen und Arbeiten zu einem integrierten System mit theoretischen und praktischen Komponenten. Beispielsweise mit Onlineformaten wird lebenslanges Lernen möglich, das stark in den Arbeitsalltag integriert ist. Während das Berufsleben durch die Notwendigkeit des kontinuierlichen Lernens bestimmt und weiterentwickelt wird, wird in der akademischen Bildung der Aspekt Arbeit stärker in den Lernprozess an Hochschulen integriert. Neue didaktische Konzepte verknüpfen Erfahrungen an unterschiedlichen Lernorten oder trainieren akademische Kompetenzen an realen Fällen aus dem Arbeitsalltag.

 

These 7: In der Arbeitswelt 4.0 trifft höhere Eigenverantwortung auf neue Formen der Kollektivarbeit.

Die Arbeitswelt 4.0 ist geprägt von vernetzten und kollaborativen Arbeitsformen und einem häufigeren Wechsel zwischen Selbstständigkeit und Beschäftigung. Diese Entwicklung manifestiert sich schon heute: Die Solo-Selbstständigkeit hat auf der einen Seite in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen und Eigenverantwortung und Kollaboration bestimmen auf der anderen Seite immer mehr auch den innerbetrieblichen Alltag von Unternehmen. Es entstehen neue Formen von intensivierter Kollaboration innerhalb von Unternehmen, zwischen Unternehmen sowie mit und zwischen Selbstständigen, die alle ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Bereitschaft zur Zusammenarbeit erfordern. Der Umgang mit digitalen Kollaborationswerkzeugen gewinnt hierbei an Bedeutung. Sie unterstützen Mitarbeiter bei der Organisation, bei der Aufgabenabarbeitung und bei der Interaktion untereinander und mit Kunden. Für die Hochschulen bedeutet dies, dass sie Eigenverantwortung und unternehmerisches Handeln bereits während des Studiums stärker fördern sollten. Fähigkeiten zum kollaborativen Arbeiten sollten durch digitalgestützte Formen der Wissensgenerierung bereits frühzeitig eingeübt werden und in Lehr- und Lernformate Einzug halten.

These 8: Die Generation junger Akademiker verändert die Arbeitswelt.

Junge Arbeitnehmer und heutige Studierende haben andere Vorstellungen von der Arbeitswelt als die Generation ihrer Eltern: Sie suchen nach sinnvoller Arbeit, persönlichen Weiterentwicklungsmöglichkeiten, Ausgewogenheit zwischen Beruf und Privatleben und Möglichkeiten, Arbeit ins Leben zu integrieren. Wo und wann Arbeit verrichtet wird, verliert an Bedeutung. Die Arbeitszeit soll flexibel gestaltet werden können in Bezug auf Raum, Zeit und Inhalt.

Diese neue Emanzipation der Arbeitnehmer kann dazu führen, dass sich der Arbeitsmarkt der Zukunft eher nach den Lebensentwürfen dieser Arbeitnehmer richtet und nicht umgekehrt. Hochschulen sollten sich auf diese Generation einstellen, indem sie die Perspektiven, die Relevanz und den Sinn der vermittelten Methoden und Inhalte deutlicher machen: Wie ermöglicht das Gelernte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben oder die Ausübung einer Erwerbstätigkeit? Hochschulen sollten sich darüber hinaus auch als Arbeitgeber auf die Wünsche der jüngeren Generation einstellen und sie als change agents für eine andere Arbeitswelt auch an Hochschulen verstehen.

Der Hochschul-Bildungs-Report 2020 ist eine Initiative von